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JULY
2010
Agnes Miegels
Ballade über
die Vertreibung aus den Ostgebieten
Forwarded by
Anita Pare, Molidorf
Descendant
Um Allerseelen
In
der dunklen Nacht,
Wenn
vor uns stehen,
Die
immer neu unserem Herzen fehlen, -
Erinnrung
erwacht
An
die alten Kirchen, die Hügel im Feld,
Wo
sie schlafen, Vätern und Nachbarn gesellt,
In
verlorener Heimat über der See, -
Und
an alle, die hilflos und einsam starben,
An
alle, die sinkend im Eis verdarben,
die
keiner begrub, nur Wasser und Schnee,
Auf
dem Weg unsrer Flucht, - dem Weg ohne Gnade!
Und wir ziehen im Traum verwehte Pfade
Wagen
an Wagen, endloser Zug -
Der
ein Volk von der Heimat trug!
Von Norden, von Osten kamen wir,
Über
Heide und Ströme zogen wir,
Nach
Westen wandernd, Greis, Frau und Kind.
Wir
kamen gegangen, wir kamen gefahren,
Mit
Schlitten und Bündel, mit Hund und Karren,
Gepeitscht
vom Wind, vom Schneelicht blind, -
Und
Wagen an Wagen.
Zuckend wie Nordlicht am Himmel
stand
Verlassner
Dörfer und Städte Brand.
Und
um uns heulte und pfiff der Tod,
Auf
glühendem Ball durch die Luft getragen.
Und
der Schnee wurde rot.
Und
es sanken wie Garben, die hilflos starben.
Und
wir zogen weiter,
Wagen
an Wagen, - -
Und kamen noch einmal, trügrisches
Hoffen,
Durch
friedliches Land.
Tür
stand uns offen
Bei
jenen, die nicht unser Leiden gekannt.
Sie
kamen, sie winkten, sie reichten uns Brot, -
Sie
luden die Not
Am
warmen Herde zu sich als Gast.
Scheune
und Stroh rief Müde zur Rast.
Doch
wir konnten nicht bleiben.
Wir
zogen vorüber,
Wagen
an Wagen.
Und hörten durch Sturm und
Flockentreiben
Das
Glockenlied ihrer Türme noch
Und
hörten doch
Das
Dröhnen des Krieges, der hinter uns zog.
Und
vom Wegkreuz bog,
Blutend,
mit ausgebreiteten Armen,
Sich
dorngekrönter Liebe Erbarmen.
Wir konnten nicht halten, wir
konnten nicht knien.
Sie
kamen hinter uns, Wagen an Wagen, -
Unsre
Herzen nur schrien:
O
blick nach uns hin!
Wir
wandern, wir wandern, endloser Zug,
Volk,
das die Geißel des Krieges schlug ,
Entwurzelter
Wald, von der Flut getragen, -
Wohin?
Wohin?
- - -
Agnes
Miegel
(1949)
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