Donauschwaben in den USA


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Klara Burghardt

Die Fähre

 

Klara Burghardt

Email: klaraburghardt@gmail.com    Website : http://www.klaraburghardt.com/index.php?lang=de 

 

 

Der Zug rollte seit Stunden mit seiner schweren Traglast dem nächsten Ziel zu.

Es war Anfang Januar, 1945. 

Gott schickte in diesem Jahr einen harten Winter auf die Erde.

Im Waggon, in der Mitte des Zuges zog sich Gabriele klein zusammen.

Der Wagen war gebrettert, auch der Boden. Die Bretter dienten den Gefangenen auch als Bett.

Das Mädchen lag neben ihrer Tante, Regine.

Der Wind pfiff durch die Wände, es war eiskalt im Waggon.

Ihr tränenfeuchtes Gesicht drückte das Mädchen in ihr nasses Kissen.

Die Mutter war nicht zu Hause, als sie vergeschleppt wurde. Sie konnte nur ein kleines Päckchen zu sich nehmen; eine Decke, ein Leinentuch und ein Kissen, ein wenig Unterwäsche.

Es war kein Essen zu Hause, nur ein kleines Brotstück Das steckte sie noch schnell in ihr

Bündel.

Ihr blutete das Herz, weil sie von der geliebten Mutter kein Abschied hat nehmen können!

Sie war zwanzig Jahre alt und hat ihr kleines Dörflein noch nie verlassen. Hier fühlte sie sich immer geborgen. Sie hatte gute Freundinnen, auch Freunde, Schulkameraden, mit denen sie  zur Schule ging, gespielt, gearbeitet hat, mit denen sie an Dorffesten gern getanzt hat.

Sonntag nachmittags zog sie ihre schönste Tracht an und lief, die deutschen Volkslieder singend, Hand in Hand mit Jugendlichen durch die Straßen des Dorfes.

Die Mütter und Omas saßen auf den Bänkchen vor ihren Häusern und hörten mit Freude ihnen zu. Die Männer verbrachten den Nachmittag im Keller oder im Wirtshaus bei einem Gläschen Wein, mit Plaudern. Das Mädchen hörte immer gern den Alten bei ihrem Erzählen zu. Diese lustigen-traurigen Geschichten gab sie dann ihren Freundinnen weiter. Sie erzählte gern.

Ihre Familie war nicht reich. Doch sie hatten immer, was sie brauchten. Die Bedürfnisse waren nicht hoch. Sie waren damit zufrieden, was ihnen Gott gab. Ihr tiefer Glaube brachte Frieden und Liebe ins Familienleben.

Gabriele wuchs in Geborgenheit, in Sonnenschein auf.

Diese Bilder wirbelten vor ihren Augen.

Sie schlotterte, ihre Zähne klapperten. Regine deckte sie noch fester zu. Aber es hat nichts geholfen. Der eiskalte Wind drang durch ihre Kleidung, sie zitterte am ganzen Leibe.

Drei Salacker Frauen waren in diesem Wagen. Die anderen aus dem Dorf kamen in einen anderen Waggon. Sie blieben mindestens zusammen. Noch gut, dass die Burghardt Regine und die Hoffmann Wawi bei ihr waren! Die anderen Frauen,die das gemeinsame Leid trugen, wurden aus dem Nachbarsdorf, Kebling verschleppt.

Ihr Magen murrte laut. Wann hat sie zuletzt gegessen? Das kleine Frühstück hat sie schon vergessen. Sie hatte Hunger. Mit blaugefrorenen Fingern nahm sie ihr letztes Stückchen Brot aus ihrem Bündel.

Draußen war es schon spät. Doch der Vollmond gab in der Nacht ein wenig Licht.   

Man hörte nur das Rattern der Räder und den brausenden Wind.

In der Spätnacht blieb der Zug in Baja vor einer gesprennten Brücke krachend stehen.

Draußen hörten die Frauen lautes Geschrei.

„Raus, raus!”- trieben die Russen die Gefangenen aus dem Zug.

Gabriele nahm ihre Sachen und trat nach den anderen eilig aus dem Waggon.

Sie fühlte ihre Beine kaum. Es lag überall hoher Schnee,der Wind schnitt in ihr Gesicht. Die Menschen wurden zusammengestellt, auch die anderen Salacker standen kopfhängend, zusammengefroren in der Reihe.

Gabriele zog ihren Mantel zusammen. Tränen flossen aus ihren Augen. Auch die anderen weinten bitter.

„Dawaj! Dawaj!- donnerten die Stimmen der Russen, die mit Gewehr die Deutschen wie Vieher trieben.

Ein hoher Damm zog sich vor der Gruppe.

Darauf wurden sie getrieben.

Gabriele hatte feste Schuhe, doch im hohen Schnee wurden die Strümpfe und die Socken schnell naß.

Vom steilen Damm mussten sie herabrutschen. Weil sie ihre Füße nicht mehr fühlten, rollten viele den Puckl hinab.

Und sie hörten das ständige:”Dawaj!Dawaj!” 

Gabriele hatte schrecklichen Hunger, sie war schläfrig, voller Angst. Auch die Männer weinten schon.

Ein dichter, kahler Wald stand vor ihnen, durch ihn mussten sie sich kämpfen. Der Schnee, den Gabriele immer geliebt hat, wurde zum Feind.

Bis zum Kreuz war sie schon nass, alle zitterten, ihnen ging es auch nicht besser.

Zwanzig- dreißig Schritte gingen sie,dann schrien die Russen:”Halt!”

Sie schnauften sich ein wenig aus.

Eine von ihnen weinte laut:”Warum töten die uns nicht endlich? Ich kann es nicht mehr aushalten! Die werden uns nicht weiterbringen,die schießen uns in die Donau!”

Die Umstehenden versuchten ihr Mut zu machen. Aber wie, wenn sie selbst auch keinen hatten?

„Dawaj! Dawaj!”

Sie schleppten sich mühsam weiter. Die Hecken und der Schnee machten den Kalvarienweg noch schwerer. Mehrere fielen in den Schnee. Doch die Russen waren gleich dort und stumpften den Gefallenen mit dem Gewehr:”Dawaj! Dawaj!”

So ging die Truppe Schritt für Schritt in die Richtung Mohacs. Nach zwanzig Schritten:”Halt!”,dann wieder:”Dawaj!”

Das Licht des Vollmondes zeigte ihnen den Weg. „Der liebe Gott ist mit uns, er beleuchtet

unseren Weg.”-schaute Gabriele dankend zum Himmel.

Auf einmal waren die Bäume weg, vor ihnen die Donau.

Am Wasser war es noch kälter, wenn man es noch steigern kann.

Am Ufer standen zwei große Fähren.

Die Russen trieben die erschöpften Menschen so dicht, wie Heringe darauf.

Die Salacker versuchten zusammenzubleiben.

Dann wurden die Fähren in die Mitte der Donau gezogen. Dort hielten sie an.

Es war schon Spätmitternacht.

Das eiskalte Wasser schlug große Eistafel an die Fähren. Gabriele sah jemanden von der anderen Seite ins Wasser fallen.

„Der hat keine Sorge mehr!”-sagte eine Stimme leise.

„Ich will auch nach ihm!”- eine Frau drückte sich verzweifelt nach vorne, doch die anderen hielten sie zurück. Sie fing an, bitter zu weinen.

Alle waren nass, durchgefroren, erschöpft.

„Das ist unser Friedhof!”-dachte Gabriele. „Ach, wenn ich nur meine Mutter nochmal sehen könnte!”-seufzte sie tieftraurig.

„Beten wir!”-rief eine Stimme und sie fingen leise zu beten an. Sie schluckten ihre Tränen und hofften ganz stark,dass Gott sie nicht verlassen würde.

Sie konnten kein Auge zumachen. Sie hatten nicht mal Platz sich umzudrehen.

Es war eine helle Nacht. Der Vollmond leuchtete aufs Wasser, mit den schwimmenden Eistafeln. Gabriele hatte große Angst.

Um halb sieben, am frühen Morgen wurden die Fähren an den anderen Ufer der Donau gezogen. Hinten lag der Wald, vor ihnen standen Häuser.

Beim Hinausgehen war der Weg wie ein Eisspiegel unter ihren Füßen.

Jeder Schritt schien lebensgefählich. Viele rutschten aus, fielen und sich hart an.

Niemand war auf der Straße.

Hinter abgelassenen Vorhängen schauten verzweifelte Gesichter verstohlen heraus.

Zwei km mussten sie auf der Eisplatte laufen.

Dann kamen sie am Bahnhof an. Da stand ein offenenes Gebäude, sie wurden da hineingetrieben.

Gabriele verstand kein Wort der Russen, sie machte automatisch alles ihrer Tante nach.

Im neuen Gebäude lagen noch Ziegelbrocken.

Sie nahm ihre nasse Decke und legte sich ausgemerkelt auf den kalten Boden.

Zwei Tage verbrachten sie hier, durchgefroren, fast verhungert, verzweifelt.

Dann wurden sie wieder in den Zug getrieben.

„Ihr fahrt jetzt in die Batschka, zum Kukruzlesen!”

Diese Lüge klingen heute noch in den Ohren der noch Lebenden.

Gabriele schreckt heute, nach sechzig Jahren noch auf, weil sie im Traum das Rattern des

Zuges hört, der sie für vier lange Jahre Zwangshaft nach Grosnij, im Kaukasus brach.    

 

( C ) 2008  

 

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